Liebe Leser,
Alles hat seine Zeit und wenn Sie diese Zeilen lesen, dann liegen die 3 Monate meines Sabbaticals schon wieder hinter mir und der Herbst hat zumindest schon angeklopft. In Absprache mit dem Kirchenkreis entwickelt der Pastor ein Programm für sein Sabbatical, so dass man bei mir von einer Langzeitfortbildung reden kann.
Ich habe seit 1996 Beziehungen in die Kirchengemeinde Whittlesey in der Diözese von Ely ca. 100 km nördlich von London. Diese Diözese ist eine von dreien, zu denen unsere Nordkirche eine Partnerschaft pflegt. Früher war ich regelmäßig in Whittlesey, aber immer nur für maximal 2 Wochen, diesmal habe ich an 4 Sonntagen in einer der 4 Kirchen gepredigt. Auch wenn die Predigt nicht wie bei uns die entscheidende Rolle spielt, eine Herausforderung. Der anglikanische Gottesdienst ist zuerst einmal ein Abendmahlsgottesdienst, auch wenn es andere Formen gibt. Einen Psalm im Wechsel gibt es nicht, dafür ein Sündenbekenntnis mit folgendem Zuspruch der Vergebung, als Glaubensbekenntnis wird das Nicänische gesprochen und die Besucher wünschen sich gegenseitig den Frieden. Die Geistlichen tragen weiße Gewänder als Zeichen der christlichen Freude und Hoffnung, zum Singen steht man auf. Die Kirche von England ist keine Bekenntnis-Kirche wie wir, sondern die Kirche eines Landes, so dass es wie unter einem großen Dach auf der einen Seite die High-Church, die Anglo-Katholiken und auf der anderen Seite die Low-Church, die Evangelikalen gibt. Auch wenn es seit 25 Jahren Pastorinnen gibt und es jetzt auch Bischöfinnen, sind die Entscheidungen deshalb teilweise sehr umstritten. Auf jeden Fall gibt es einen ganz grundlegenden Unterschied zu uns, es gibt keine Kirchensteuer, so dass die Kirche aus Landverpachtungen, Spenden und Gebühren lebt.
Die Taufe ist frei, für die Trauung und die Beerdigung muss extra bezahlt werden, jede Kollekte bleibt in der Gemeinde. Die Gemeinde ist zunächst einmal die Gottesdienstgemeinde und gehört vor allem zur Generation 50 plus. Manche Gottesdienste laden aber auch besonders Jüngere ein, wie zum Beispiel der "Pet-Service", der Haustier-Gottesdienst … der oft am 4.10., dem Tag des Heiligen Franz von Assisi gefeiert wird.
Wir konnten einen solchen Gottesdienst in einer typischen Landgemeinde erleben.Ein Hamster, ein Kaninchen, eine Reihe von kleinen und großen Hunden, sowie ein Pferd waren neben ihren Herrchen und Frauchen die tierischen Besucher.
Im Mittelpunkt stand die Beschreibung der Aufgaben eines Therapiepferdes, eines Hundes für Gehörlose und eines anderen für Körperbehinderte.
Im Gebet wurde für die Existenz und die Treue der Haustiere gedankt und für ihren Schutz gebeten.
Im Sommer gibt es in verschiedenen Kirchen die Flowershows, wir waren bei der im kleinen Ort Thorney, die zusammen mit dem Gemeindefest stattfand. Eine Bibliothek aus Blumen, das war ihr Motto.
Die Titel verschiedenster Bücher wurden in geschmackvolle Blumendekorationen umgesetzt und erfüllten die Kirche mit ihrem Duft. Natürlich wurde um eine Spende für die Kirchengemeinde gebeten.
In unsere Zeit in England fiel auch das Gedenken an den 1. Weltkrieg in ganz anderen Dimensionen als bei uns mit dem Höhepunkt am Abend des 4. August. Ausgehend vom Wort des damaligen englischen Außenministers „In Europa gehen die Lichter aus“, wurden in Abendgottesdiensten zwischen 22.00 und 23.00 Uhr alle Lichter bis auf eins gelöscht und große öffentliche Gebäude wie die House of Parlaments wurden ganz verdunkelt. Wie viele Menschen sich an dieser Aktion beteiligt haben, kann ich nicht beurteilen, insgesamt aber ist das Gedenken mehr als bei uns auf die eigenen Soldaten bezogen, der Aspekt der „Versöhnung über den Gräbern“ steht etwas mehr im Hintergrund, was auch in England nicht unumstritten ist. Eine Radiosendung hieß: Was haben dein Urgroßvater, deine Urgroßmutter im 1. Weltkrieg getan und die vielen Anrufer berichteten sehr stolz darüber.
Klare Aussage, unsere Soldaten waren alle Helden! Auf der anderen Seite war die Teilnahme der deutschen Auslandsbischöfin beim Gedenkgottesdienst in der Westminsterabbey ein deutliches Zeichen.
Während bei uns eine Diskussion über den Sinn und Zweck von Ehrenmalen oder Gedenksteinen angestoßen wird, werden sie in England und Schottland gereinigt und instand gesetzt. Das ist der britische Weg des Gedenkens, der der großen Gastfreundschaft, die wir erlebt haben, nicht entgegensteht.