Es war spät in der Nacht. Aber er konnte nicht schlafen. Alles war still im Haus. Er huschte in die Wohnstube. Da stand der Weihnachtsbaum mit den Geschenken darunter. Er nahm ein Streichholz und zündete die Kerzen am Baum an. Dann setzte er sich in den Sessel. Sein Blick fiel auf den Stall mit den Krippenfiguren. Er hatte ihn selbst aufgebaut, wie jedes Jahr. Ohne sich die Figuren näher anzuschauen. Jetzt nahm er sich die Zeit. Sah den Hirten mit dem Schaf auf den Schultern. Die Falten in seinem Gesicht, aber auch das Leuchten in den Augen. Er sah Josef mit seinem Hut neben Maria, die so jugendlich wirkte und verzückt auf ihr Baby schaute. Und dann nahm er die Krippe mit dem Jesuskind in die Hand. Da lag es, das Kind. Mit ausgestreckten Armen, als würde es ihm die Arme entgegenreißen.
Photo von Oliver Cossalter
„Für dich lieg ich hier! Für dich bin ich in die Welt gekommen!“ So schien das Kind ihm zuzuflüstern. Unwillkürlich fiel ihm der Anfang jenes Weihnachtsliedes von Paul Gerhardt ein: „Ich steh an deiner Krippe hier, O Jesu, du mein Leben.“ Ja, da sitze ich, dachte er bei sich. Nahe beim Kind. Du bist auch für mich gekommen, obwohl ich damals noch nicht geboren war. Du hast da schon an mich gedacht. Du hast unser Leben geteilt. Du weißt, wie Leben sich anfühlt. Welche Sorgen es gibt. Sogar, wie Sterben sich anfühlt. Nichts ist dir fremd von dem, was ich durchmache … Du wurdest Mensch, um mir zu zeigen: welch kostbares Geschenk das ist auf Erden zu leben. Und dass auch wir die Welt verändern können, so wie du das getan hast, mit Zuwendung zu den Armen, mit Liebe. Wo bist du jetzt, Jesus? Bestimmt hier im Raum. In meinen Gedanken! Und überall, kein Winkel dieser Welt ist ja zu fern für dich, kein Mensch zu verloren, als dass deine Liebe nicht kommen und alles verwandeln könnte … – So versunken in seinen Gedanken, fallen ihm Menschen ein: sein Bruder, mit dem er zerstritten ist. Und die Nachbarin, die ganz alleine wohnt – er hat sie in diesem Advent gar nicht besucht. Jetzt weiß er, was er gleich morgen zu tun hat, am ersten Feiertag – und es ist ihm, als würde das Kind in der Krippe ihn beglückt anlächeln … Er setzt die Krippe mit dem Jesuskind behutsam an ihren Platz zurück. „Ich sehe dich mit Freuden an und kann mich nicht satt sehen“! Das ist doch Weihnachten: sich nicht satt sehen zu können an dem Wunder und an der Liebe Gottes. Noch einmal schaut er auf das Kind und deutet auf sein Herz: „In meinem Herzen sollst du, Jesus, deinen Platz kriegen – mehr als vorher!“ Fast verschwörerisch, auf jeden Fall entschlossen zwinkert er dem Kind in der Krippe zu. Dann löscht er die Kerzen, schließt leise die Tür und kriecht zurück ins Bett. Schnell schläft er ein. Unser Herz ist doch die allerbeste Krippe für Jesus – in dem Sinne: Gesegnete Weihnachten!
Euer Pastor Gerald